Welt-MS-Tag 2014: Fee zeigt Gesicht

Foto: Fee ist mein Name und ich habe Multiple Sklerose
Fee zeigt Gesicht zum Welt-MS-Tag 2014; Copyright: Fee ist mein Name

Heute ist der 28. Mai 2014. Heute ist der internationale Welt-MS-Tag. Er soll Bewusstsein schaffen für all die Menschen weltweit, die mit der Diagnose Multiple Sklerose leben. Nachdem ich im Vorfeld des heutigen Tages bereits ein paar Menschen mit MS zu Wort kommen ließ, gewährt uns heute eine junge Frau mit MS Einblick in ihr Leben: Fee.

„Fee ist mein Name“ und so heißt auch mein Blog. Ich bin 33 Jahre alt, auch wenn mir das meistens keiner glaubt. Obwohl in den letzten vier Jahren seit meiner Diagnose wohl doch so einige Augenringe dazugekommen sind.

Es fing ganz plötzlich an, nach einer Party, die wir zum 30. Geburtstag meines Freundes gefeiert hatten. Auf einmal waren meine Hände taub, zuerst nur die Finger und auch nur unter der Dusche, danach hörte es wieder auf. Aber nach drei Tagen blieb die Taubheit auf einmal und weitete sich auf die ganze Hand aus. Wenige Stunden später war meine Bauchdecke taub, wie ein Fremdkörper, ich konnte hineinzwicken und spürte nichts. Es folgten die Beine und schließlich kribbelte mein Kopf als würde ein Ameisen-Kampfgeschwader darauf hin und her patrouillieren. Es war ein Donnerstag und langsam dachte ich: Vielleicht sollte ich mal zum Arzt gehen.

Am Freitag wurde ich bei meinem Hausarzt vorstellig, der sich nach meinen Schilderungen und seinen Untersuchungen zunächst bedeckt hielt und meinte: „Wir nehmen mal Blut ab.“ Ich wurde ins Wochenende verabschiedet, an dem die Symptome sich verstärkten und an dem am Sonntag enormer Schwindel und Übelkeit hinzukamen. Montagmorgens stand ich direkt wieder beim Arzt auf der Matte, der mir mitteilte: „Die Blutwerte sind soweit in Ordnung. Ich überweise Sie zum Neurologen. Ich rufe direkt an.“ Nun ist der Neurologe im gleichen Haus und die beiden Praxen arbeiten zusammen, so dass ich mir noch keine gesteigerten Sorgen machte. Selbst als ich am Wartezimmer vorbeigewunken und direkt zum Arzt vorgelassen wurde, machte ich mir noch keine Gedanken.

Der Neurologe ließ mich auf einer Linie laufen, haute hier und da mit dem Hämmerchen gegen, schaute mir tief in die Augen und sagte schließlich: „Ich schicke Sie ins MRT. Ich rufe direkt an.“ Das zweite Mal „Ich rufe direkt an“ innerhalb einer halben Stunde. Und wer schon mal einen Termin fürs MRT gemacht hat, weiß, dass das im Normalfall ein paar Wochen dauert. Ich hatte aber noch nie einen Termin fürs MRT gemacht und ging erst mal relativ unbedarft an die Sache heran. Allerdings machte mir die Vorstellung dieser Röhre Angst, so dass ich meine Mutter anrief und keine zwei Stunden später (von ihr am Bein getätschelt) versuchte, nicht zu hyperventilieren als mein Kopf in das „Gestell des Todes“ eingespannt wurde. Am Anfang sagte man mir: „Das dauert circa eine halbe Stunde“. Am Ende war ich mehr als dreimal so lange drin.

Foto: Fee lächelt in die Kamera
Fee lebt mit MS; Copyright: Fee ist mein Name

Als ich schließlich herauskam, war da auf einmal der Chefarzt, der zusammen mit der Assistentin, die die Bilder gemacht hatte, konzentriert auf die Monitore starrte. Ich war noch immer relativ unbedarft, lediglich völlig verspannt. Nachdem ich mich wieder angezogen hatte, drückte der Arzt mir einen großen Umschlag mit den MRT-Bildern in die Hand und sagte: „Gehen Sie damit morgen wieder zu Ihrem Arzt. Ich kann seine Vermutung nicht eindeutig bestätigen, aber auch nicht ausschließen.“ Ich: „Welche Vermutung denn?“ Und er: „Na, ED. Encephalomyelitisdisseminata. Multiple Sklerose.“ Und das Einzige, was ich sagte, war: „Aha“.

Ich wackelte aus dem Krankenhaus, ließ das Auto vor der Tür stehen, weil ich mich plötzlich absolut nicht mehr fahrtüchtig fühlte und lief nach Hause. Am nächsten Morgen war ich direkt um sechs Uhr wieder beim Neurologen, dem ich die Bilder und den Befund überreichte. Er schaute kurz drauf und sagte: „Haben Sie heute noch was vor?“ Ich: „Nein.“ Er: „Ok, dann weise ich Sie ins Krankenhaus ein.“ Keine vier Stunden später lag ich in einem Krankenhausbett, wurde erst mal an den Cortisontropf gehängt und ließ mich wenig später, ohne auch nur den Hauch einer Gefühlsregung zu zeigen, zur Rückenmarkspunktion schieben. Übrigens weniger schlimm als man vielleicht denkt, finde ich. Vielleicht stand ich auch unter Schock. Vielleicht aber auch nicht.

Nach drei Tagen, unzähligen Untersuchungen und genug Cortison, um eine ausgewachsene Kuh lahmzulegen, wurde ich mit der Diagnose „Klinisch isoliertes Syndrom“ entlassen, was so viel bedeutet wie: Vermutlich haben Sie MS, aber um das genau zu sagen, muss es erst noch schlimmer werden. Und dann saß ich da zuhause auf meinem Sofa. Im Großen und Ganzen circa drei Monate. Drei Monate, in denen ich mich so schwach fühlte, dass ich kaum bis ins Bad kam. Und in denen ich ausreichend Zeit hatte, mich mit der Situation auseinanderzusetzen. Und ich kam relativ schnell zu der Erkenntnis: „Das ist dumm gelaufen, aber machen kannst du da jetzt eh nichts.“ Und ich beschloss, das Beste daraus zu machen.

Und das habe ich seitdem versucht. Klar, es war nicht immer rosig, und vor allem bezüglich meiner beruflichen Zukunft machte ich mir Sorgen und tue es auch immer noch hin und wieder. Aber deswegen den Kopf in den Sand stecken? Bei MS weiß niemand, wie es weitergeht. Da kann man ja auch erstmal vom Besten ausgehen.

Foto: Vier Fotos von Fee
Auf ihrem Blog http://www.feeistmeinname.de hielt Fee ihre MS lange geheim; Copyright: Fee ist mein Name

Gott sei Dank hatte ich seither keinen weiteren diagnostizierten Schub. Rückwirkend wurde allerdings eine Phase, die schon einige Jahre zurücklag als weiterer wahrscheinlicher Schub eingestuft, so dass die Diagnose zu „Multiple Sklerose“ geändert wurde und ich seit knapp anderthalb Jahren täglich Glatirameracetat spritze, um die weitere Schubrate potentiell zu verlangsamen. Zusätzlich nehme ich Medikamente gegen geistige Ermüdung und gegen neuropathische Schmerzen. Denn was geblieben ist und womit ich im Alltag klar kommen muss, ist eine starke Fatigue (chronisches Erschöpfungssyndrom), die mich von einigen Dingen abhält, die ich vielleicht gerne machen würde, und unter Stress und Belastung immer wieder auftretende Taubheits- und Missempfindungsprobleme, vor allem Stechen und Kribbeln in den Händen.

Mein Leben mit MS ist jedoch nicht schlechter als vorher, ganz im Gegenteil. Durch meine Erkrankung sehe ich viele Dinge durch andere Augen und weiß mein Leben mehr zu schätzen. Das soll nicht falsch verstanden werden: Eine chronische Erkrankung ist niemandem zu wünschen und macht auch niemanden zu einem besseren Menschen. Außerdem ist der Krankheitsverlauf bei jedem anders und meine Erfahrungen können nicht verallgemeinert werden. Aber ich kann für mich sagen, dass ich mich seit meiner Diagnose für einen Menschen halte, der mehr Glück empfindet als vorher. Ich habe auch mehr Verständnis für andere Menschen, egal in welchen Situationen. Ich habe meine Krankheit lange auf dem Blog verheimlicht, obwohl es ihn schon gab, als die Diagnose gestellt wurde. Drei Jahre lang habe ich so getan, als gäbe es diese Seite von mir nicht, aus Angst vor den Reaktionen und auch aus Angst, dass potentielle zukünftige Arbeitgeber es lesen und mich daher ablehnen würden. Doch letztes Jahr zum Welt-MS-Tag habe ich mich entschieden, nicht mehr zu schweigen, und es war die beste Entscheidung überhaupt. Ich fühle mich seither unglaublich befreit. Meine MS ist schließlich nichts, wofür ich mir schämen muss. Sie gehört zwar zu mir, aber sie ist nur ein kleiner Teil von mir, von dem ich mich nicht bestimmen lasse.

Ich wünsche mir, dass chronische Erkrankungen und Behinderungen in unserer Gesellschaft nicht mehr so stigmatisiert werden. Warum scheuen sich Menschen, über etwas zu sprechen, wofür sie nichts können? Wobei sie eigentlich jede Unterstützung gebrauchen könnten? Und wenn sie nur in der Form geschieht, dass man sich bemüht die Menschen dahinter als Menschen zu sehen und nicht als ihre Krankheit. Sie so normal zu behandeln, wie gesunde Menschen auch. Aber zu erkennen, wenn sie an ihre Grenzen gelangen und das dann auch zu akzeptieren. Das wäre schön.

Foto: Schattenfigur springt vor Sonnenuntergang in die Luft
Copyright: Fee ist mein Name

23 Gedanken zu “Welt-MS-Tag 2014: Fee zeigt Gesicht

  1. Wow, ich habe am ganzen Körper Gänsehaut. Ich finde es wahnsinnig mutig, dass du so offen über deine Erfahrungen und Empfindungen sprichst. Es ist toll, dass du einen Weg gefunden hast, damit umzugehen. Von mir selbst weiß ich, dass ich oft nicht sicher bin, wie ich mit offensichtlichen Behinderungen (Erkrankungen sieht man ja nicht unbedingt) umgehen soll. Ich versuche so gut ich kann, diese Menschen genauso zu behandeln, wie jeden anderen auch, es ist aber nicht immer einfach. Dennoch ist es in unserer Gesellschaft ein erstrebenswertes Ziel, diese Stigmatisierung schrittweise abzubauen, da kann jeder seinen kleinen Teil dazu beitragen. Für deine Zukunft wünsche ich dir alles Gute und mach weiter so mit deinem Blog, er motiviert mich, auch an meinem Vorhaben festzuhalten.

    Viele Grüße, Silke

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  2. Schön, noch ein wenig mehr von dir und deinem Leben mit MS zu erfahren.
    Du hast Recht, wenn du sagst, das man offen darüber reden sollte, was man so mit sich herumträgt. Aber ich finde, dass man da auch mit Verständnis rechnen können muss, sonst ist das leichter gesagt als getan. Epilepsie beispielsweise ist eine Krankheit, die einem ziemlich was verbauen kann wenn man einen Job sucht und offen damit umgeht. Das ist schade.

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  3. Merci Fee, danke für den so gut geschriebenen Post. Ich drücke dir die Daumen, dass du keine weiteren Schübe bekommst!
    Liebe Grüße
    Nanne

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  4. Auch hier möchte ich nochmal einen Kommentar hinterlassen. Ich erinnere mich bei vielem aus deinem Bericht an meinen Krankenhausbesuch letztes Jahr. Auch wenn bei mir bis heute keine eindeutige Diagnose gestellt werden konnte, fühle ich mich bei vielem, was du schreibst einfach „angekommen“. Es ist zwar nicht MS, aber viele ähnliche Symptome (oh diese Müdigkeit!!) und ich musste vor allen Dingen lernen, wie es ist, wenn einem ständig etwas wehtut und man vor allem einfach nicht mehr so kann, wie man gerne würde. Wie es ist, Angst zu haben. Was kommt als nächstes? Wann ist der nächste Schub da (Autoimmunerkrankung mit Organbeteiligung, soviel weiß man – aber welche???)? Das tut weh, das ist unfair und ja, manchmal fragt man sich einfach:Warum? Und gleichzeitig merkt man, wie sich andere Dinge in den Vordergrund schieben. Wie man Dinge einfach so viel besser genießen kann. Wie man auf einmal merkt, was wirkliche Freunde sind. Wie schön das Leben ist.
    Wie du schon sagst, man wünscht es niemandem. Aber es gibt einem auch so viel anderes, dass man es gar nicht komplett nur verteufeln kann. Ich schimpfe noch sehr häufig und bin immer noch oft verzweifelt. Aber irgendwie auch mehr bei mir angekommen. Es klingt komisch, ist aber so. Ich finde Deinen Weg toll und bewundernswert! Dein Blog hat mir in den drei schlimmsten Monaten letztes Jahr sehr viel gegeben. Danke dafür und bleib wie Du bist!
    Liebe Grüße
    Feli

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  5. Ein wundervoller Bericht. Danke, Fee! Ich kann mir vorstellen, daß die Entscheidung, Deine Erkrankung öffentlich zu machen nicht einfach war. Umso mehr ein großes Dankeschön für Deinen Mut und die Offenheit mit der Du Deine Geschichte erzählst.
    Herzlichst soulsister

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  6. Liebe Fee, danke für deine offenen und so schönen Worte! Schön, weil du das Beste aus der Situation machst und deine (eingeschränkte) Energie für die positiven Dinge im Leben nutzt, statt sie für Jammern/Schuldsuchen/Verzweifeln/etc. zu nutzen. Klar, ein klein wenig tut das jeder, ständig, leider zu oft. Aber es gibt zu viele Menschen, die diesen negativen Gefühlen zu viel Platz einräumen. Dein Text klingt sehr positiv und so positiv habe ich auch kennengelernt :-)
    Wie schön, dass Nadine dich hier so ausführlich hat zu Wort kommen lassen!
    Liebe Grüße! Frauke

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    1. Jeder sollte es so gut machen, wie er kann. Man kann ja keinen Schalter umlegen und sagen: Jetzt bin ich mal positiv. Aber ich hoffe, dass ich durch mein Vorleben anderen helfen kann, auch in die Richtung zu gehen!

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  7. Großen Respekt an Fee! Es ist bestimmt nicht einfach mit solch einer Diagnose gut umzugehen. Aber sie macht es in meinen Augen genau richtig. Spaß haben am Leben und sich nicht zurück ziehen.
    Die Krankheit „verheimlichen“….. Hm….. Wäre nichts für mich. Bin selber vor einiger Zeit krank geworden und gehe damit sehr offen um. Vielleicht auch zu offen, weil nicht jeder damit umgehen kann. Das Argument mit dem Arbeitgeber kann aber ch gut verstehen!

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    1. Grundsätzlich bin ich ja voll bei dir. Aber dass eben nicht jeder damit umgehen kann, ist immer noch für viele ein großes Problem. Aber nur durch Aufklärung kann man etwas an der Situation verbessern…. Für dich alles Gute!

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  8. Oh Mann, ich heul gleich los…Wirklich ein sehr beeindruckender und berührender Beitrag! Hut ab vor deiner Offenheit!!!
    Ich denke auch dass du durch diese Offenheit anderen Mut machst, sich nicht zu verstecken, für Dinge, für die sie nichts können und auch nicht den Lebensmut zu verlieren, im Gegenteil, die guten Momente bewusster zu genießen und trotz Krankheit doch wunderbare Dinge zu erreichen. (Das Buch nur mal als kleines Beispiel!).

    Liebe Grüße und weiterhin alles Gute!
    Moni

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  9. Hui, na das war ja ein Gänsehaut- Beitrag! Kann ich gut verstehen, dass Fee sich gescheut hat, darüber zu sprechen. Ich würde das auch nicht hinausposaunen aus Angst, dass die Leute komisch darauf reagieren. Umso Mutiger, dass sie es getan hat. Auch wenn ich aktuell gesund bin, versuche ich dennoch das Leben intensiv wahrzunehmen, aus Angst, dass genau das mal geschehen könnte, dass man mal eine Krankheit hat, die wirklich schlimm ist und man dann nicht mehr viel Zeit hat. Da ich drei Kinder habe ist es es mir sogar noch umso wichtiger, schöne Momente (mit ihnen) zu verbringen.

    Einen schönen MS-Tag allen, nicht nur die MS haben. :-) <3
    Emilia

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    1. Hallo Emilia,

      ja das finde ich auch. Deswegen hätte ich ihn auch nie im Leben auf ein paar kurze Statements wie in meinem Beitrag von Sonntag einkürzen wollen/können.

      Ich denke auch, dass es wichtig ist, sein Leben möglichst bewusst zu leben und wahrzunehmen. Es sind immer auch die kleinen Momente, die das Leben lebenswert machen. Klingt vielleicht kitschig, aber davon bin ich überzeugt.

      Dir auch noch einen schönen Tag! :)
      Nadine
      NaLos_MehrBlick

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