S-Bahn, Zug und Bus – Wenn man wie ich täglich berufsbedingt pendelt, erlebt man so einiges in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Auch Dinge, die man eigentlich lieber nicht sehen würde.
Auf der Buslinie Richtung Büro fährt morgens und abends regelmäßig eine junge Frau im E-Rolli mit – wenn ihr denn jemand in den Bus hilft. Das scheint nämlich nicht nur für andere Mitfahrer, sondern oft vor allem für die Busfahrer eine Last zu sein.
Die Krönung war eines Morgens als der Busfahrer wirklich keinerlei Anstalten machte aufzustehen, um die Rampe auszuklappen.
Ich, bepackt mit Tasche und Hund und nicht gerade günstig stehend, kam nicht so schnell zur Tür und bat daher andere Mitfahrer, die Rampe auszuklappen. Die Reaktion: Lauter ratlose Gesichter und sogar verbalisierter Protest. Vom Busfahrer keine Spur, nur ein genervter Blick in den Rückspiegel.
Als ich mich dann irgendwann durchgewuselt und die schwere Rampe zum Einstieg bereit gemacht hatte, wurde dies prompt mit einem dankbaren Lächeln der Rollifahrerin belohnt. Dass ich mir beim Aus- und Einklappen böse die Finger geklemmt hatte, spielte spätestens da keine Rolle mehr.
Kaum im Büro angekommen, gab es dann auch erst einmal eine böse E-Mail an die örtlichen Busbetriebe. Denn diese Gleichgültigkeit gehörte zumindest bei den Fahrern auf dieser Strecke quasi zum Alltag.
Am Abend hatte ich tatsächlich eine Antwort erhalten, die auch wirklich auf mein Schreiben einging: So etwas dürfe in der Tat nicht vorkommen. Große Entschuldigungen. Und zumindest eine Telefonnummer, bei der ich mich in einem erneuten Fall direkt beschweren könne. Immerhin!
Doch als ich dachte, es ginge nicht mehr schlimmer, folgte der Morgen danach als ich glaubte, meinen Ohren nicht zu trauen.
Ein Herr mittleren Alters, der diese Strecke ebenfalls regelmäßig fährt, regte sich furchtbar über besagte junge Frau auf. Der Dialog lief in etwa so ab:
Herr B.: „Warum fährt die denn morgens um 7 Uhr mit dem Bus? Da hat doch noch gar kein Arzt geöffnet.“
Daraufhin ich: „Ähm… Die Frau fährt zur Arbeit!?!“ (schon leicht schockiert)
Herr B. (mit entsetztem Blick): „So jemand geht arbeiten?!?“
Ich: sprachlos ob so einer ignoranten und anmaßenden Aussage.
Herr B. weiter: „Kann sie denn nicht wenigstens einen Behindertenfahrdienst in Anspruch nehmen?“
Ich: „Warum sollte sie?! Sie hat das gleiche Recht auf öffentliche Verkehrsmittel wie Sie!“
Herr B.: „Aber so hält sie doch ständig den ganzen Verkehr auf! Da komme ich dann zu spät zur Arbeit…“
Dieser Dialog ging dann noch eine Weile hin und her. Umstehende guckten ähnlich schockiert oder schüttelten nur fassungslos die Köpfe. Inzwischen hält er sich mir gegenüber zu diesem und ähnlichen Themen etwas bedeckter.
Ein typischer Fall von Fremdschämen!
Oder was meinst du?
Erinnert mich an eine Durchsage im ICE, verzögerte Abfahrt. „Wir sind verspätet abgefahren wegen eines Rollstuhlfahrers“ – kann man auch anders formulieren.
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Wobei das natürlich noch relativ „neutral“ formuliert ist. Aber so ein bisschen schwingt ja schon ein „Musste halt leider sein. Nervt uns auch.“ mit. Stimmt schon…
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Dein Blogpost zeigt klar wie unsere Gesellschaft tickt.
Das keiner bei der Rampe hilft kann man, mit sehr viel Gutmütigkeit, noch als „Hilflosigkeit“ sehen. Wenn man nicht weiß wie das funktioniert ist die Hemmschwelle recht groß. Das entschuldigt allerdings den Busfahrer definitiv nicht.
Das andere ist glaube ich eine viel verbreitete Einstellung:
Inklusion und alles drum herum ist schon in Ordnung…wenn es denn nicht die eigene Planung beinträchtigt.
Sarkasmus: „Natürlich dürfen Rollstuhlfahrer, Mütter mit Kinderwagen und Fahrradfahrer mitfahren…aber „ich“ möchte bitte pünktlich bei der Arbeit sein.“
Traurig genug wenn die Toleranz nur bis zum eigenen Leben reicht. Was ich noch viel schlimmer finde ist das Bild von behinderten Menschen das da dahinter steht: Behinderte können nicht arbeiten. Behinderte gehen, wenn sie nicht zu Hause hocken, nur zum Arzt (sie sind ja fürchterlich krank!) und zu Guter Letzt: Wozu gibt es denn die ganzen „Hilfen“ wie Fahrdienste wenn die Behinderten dann den ÖPNV aufhalten :(
Kurzum: Sie sind eine Last. Man könnte auch, wirklich boshaft, sagen: Behinderte Menschen heissen so weil sie in den Augen vieler wohl die „normale“ Gesellschaft behindern :(
Es ist ein Trauerspiel!
Aleksander
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Ja, der verbalisierte Protest der Mitfahrer bezog sich im Prinzip auch darauf, dass das nur der Busfahrer könne bzw. dürfe und sie nicht wüssten wie. Das ist sicherlich eine Sache und vielleicht noch entschuldbar. Aber für den Busfahrer gehört es zu seinem Beförderungsauftrag.
Und in der Regel dauert es nur dann wirklich lange, wenn der Busfahrer nicht in die Puschen kommt!!!
Die Meinung von Herrn B. hat mich in so geballter Form echt getroffen. Es ist unserer Gesellschaft zu wünschen, dass nicht bei allen SO krasse Vorurteile in den Köpfen stecken, aber gerade der Punkt mit der Erwerbstätigkeit ist wirklich heftig! Soweit ich das mitbekommen habe, hat sie wirklich einen tollen Arbeitsplatz in einem Bundesministerium. Dort wurde wohl sogar extra beim Anbau eines Gebäudeteiles ALLES auf ihre Bedürfnisse hin angepasst. Was ich klasse finde. Auch das konnte er gar nicht verstehen! Wenn sie dann doch irgendwann mal nicht mehr dort arbeitet, wäre das doch Verschwendung gewesen dann! *seufz*
Dieser Fokus auf vermeintliche Defizite von Menschen (egal ob mit oder ohne Behinderung) ist wirklich schrecklich!
Wie du schon sagst: Ein wahres Trauerspiel, was sich da scheinbar in einigen Köpfen so abspielt! Und mal wieder ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft.
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